Brückenschlag zwischen Top-Management und jungen Talenten

Ein Teams-Call am Nachmittag. Fiona ist im Home-Office und grinst in die Kamera, als Isabelle sich zuschaltet. Sie hat große Neuigkeiten: Ihre Scrum-Master-Zertifizierung hat sie mit Auszeichnung abgeschlossen. Dass sie diese absolviert hat, ist durch die Initiative von Isabelle entstanden, ihrer Mentorin, Head of E-Commerce in einem wachsenden Software-Unternehmen. Die beiden sind seit fast einem Jahr ein Mentoring-Paar. Isabelle unterstützt Fiona bei ihrer Entwicklung, begleitet sie in Entscheidungen und beantwortet Fragen. Aber auch sie profitiert von der Beziehung der beiden, hat bereits einige ihrer Prozesse durch Fionas frischen Blick angepasst und zum Wohl ihrer Abteilung verändert. Zudem kann Isabelle sich Fiona als Nachfolge einer Kollegin aus dem Management, deren Beförderung bald ansteht, gut vorstellen.

So oder ähnlich spielen sich viele Mentoring-Prozesse ab, die ich bisher begleitet habe. Der Fall von Fiona und Isabelle zeigt, wie ein gelungener Austausch zwischen Mentor:in und Mentee aussehen könnte. Über meine Kunden höre ich von vielen Erfolgsgeschichten, nachdem wir Mentoring als Teil des Talent Managements in ihren Unternehmen etabliert hatten. Denn Mentoring ist ein Entwicklungswerkzeug von unschätzbarem Wert. Es bringt Generationen in fruchtbaren Dialog, garantiert Wissenstransfer über direkte Unternehmenshierarchien hinweg und bringt Erfahrungsaustausch auf eine neue, direkte und – bestenfalls – partnerschaftliche Ebene. Mentor:in und Mentee lernen voneinander, und das gegenseitig. Ein frischer Blick auf Abläufe, Strukturen und Wissen ist auch für Führungskräfte besonders wertvoll.

Wissen, Unternehmenskultur und Motivation für die Führungsriege von morgen

Die Forschung zeigt, dass Mentoring die Unternehmenskultur positiv beeinflusst und das Fundament für eine neue, inhaltlich tief involvierte Führungsebene legt. Dadurch ist es ein wichtiger Baustein für Talent- und Führungskräfteentwicklung. Strategisches Denken und ein gemeinsames Mindset entstehen hier ebenso wie außergewöhnliche persönliche Bindungen. Junge Talente lassen sich darüber auffallend gut motivieren, in ihrer Entwicklung begleiten und ans Unternehmen binden. Die Top-Management-Ebene lernt darüber ihre Führungskräfte von morgen kennen und wird stark in deren Entwicklung eingebunden. Zudem fördert es das Engagement für Diversität im Unternehmen.

Wenn Mentoring gelingt, kann es sich zu einer echten Lern-Partnerschaft entwickeln, die zukünftigen Führungskräften tiefe Einblicke in die Unternehmensorganisation bietet, die persönliche Entwicklung fördert und neue Fähigkeiten vermittelt. Sie bietet Mentees die Freiheit, ihre eigenen Lösungsansätze unter Begleitung von Profis und Expert:innen zu entwickeln. Ehrliches und offenes Feedback lässt sich hierbei auf einer außergewöhnlichen Vertrauensebene transportieren. Durch Mentoring wird zudem die Entstehung eines breiten und internationaleren Netzwerks im Unternehmen vorangetrieben.

Wie lässt sich Mentoring im Unternehmen erfolgreich etablieren?

Zunächst gilt es, in Zusammenarbeit mit der Personalabteilung vielversprechende Mentoring-Paare zusammenzubringen. Im Idealfall ist die Zusammensetzung abteilungs-, länder- und funktionsübergreifend. Steht die Konstellation fest, wird der/die Mentor:in über den Entwicklungsstand und die Bedürfnisse des Mentees informiert. Beim Kennenlernen legen beide gemeinsam Ziele, Regeln und Umstände ihres individuellen Prozesses fest. Für alle weiteren Treffen sollte bestenfalls der/die Mentee initiativ und proaktiv verantwortlich sein. Sie finden über höchstens zwölf Monate hinweg regelmäßig live oder als Video-Call statt. Die HR-Abteilung begleitet den Prozess dabei in Abstimmung mit beiden Partnern. Läuft das Programm erfolgreich, ist es für beide Seiten ein bereichernder und gewinnbringender Auftakt für neue Einblicke – im Unternehmen und auf persönlicher Ebene.

Mentoring könnte ein interessanter Ansatz für Ihr Unternehmen sein? Dann lesen Sie den nächsten Teil meiner Blogserie zum Thema, in dem ich die Beziehung und Rollenbilder dieses Prozesses näher beleuchte. Oder wollen Sie nicht so lange warten? Dann lassen Sie uns zusammen überlegen, wie wir ein passendes Mentoring-Konzept für Ihr Unternehmen entwickeln können.

Die verrückte Diagonale auf La Réunion

Zwei Sportler*, zwei Geschichten: Coaching auf einer der anspruchsvollsten Laufstrecken der Welt – beim Grand Raid bringen 165 km und 9.600 Höhenmeter Läufer ans Limit.

Verrückt? Bewundernswert? Die Meinungen gehen auseinander, wenn ich vom „Grand Raid –Diagonales des Fous“ erzähle, bei dem ich zwei Topläufer begleite. Die „verrückte Diagonale“ wartet mit einer Länge von 165 km auf, dazu kommen fast 10.000 Höhenmeter. Wieso zum Teufel tut man sich das an? Was ist die Motivation?

Als ich meine beiden Coachees aus Toulouse traf, stellte ich ihnen genau diese Frage. Denn wie sollte ich sie mental auf dieser Strecke betreuen, wenn ich nicht wusste, was sie antreibt? Die Antworten der beiden waren ähnlich: Es geht darum, die eigenen Grenzen zu erfahren und kennenzulernen. Zu wissen, dass man es schaffen kann, obwohl der Körper schon müde ist, dass man mit mentaler Stärke immer noch ein Stückchen weiterkommt, wenn man nicht aufgibt. Ein solcher Lauf ist eine Erfahrung fürs Leben: Mit diesem Wissen lässt sich so manche Situation gut meistern.

 

Abenteuer La Réunion

Was für eine Trauminsel! La Réunion, gelegen mitten im indischen Ozean, umzingelt von Haien. Auch ein Beweggrund für meine beiden Sportler: neue Landschaften mal anders zu erkunden – nämlich laufend. Meine Aufgabe vor Ort: Neben der Lieferung von Wechselkleidung und Essen war ich für „gute Worte“ zuständig. Eigentlich das Wichtigste: die mentale Unterstützung, die Motivation. Aber wann weiß man, ob jemand noch kann oder eigentlich besser aufhören sollte? Das sollte ich herausfinden, indem ich immer wieder ein paar Kilometer mitlief, einfach an der Seite der beiden war und die richtigen Worte fand.

Für mich war es Abenteuer und Verantwortung zugleich. Ohne GPS und wie früher mit der Karte nachts durch die Berge zu fahren, die fast senkrecht in die Höhe ragten und garantiert während Regenzeiten nicht passierbar sind; den richtigen Ort zu finden mitten in der Nacht; auf der Rückbank des Autos zu schlafen, um morgens früh pünktlich am Checkpoint zu sein, an dem wir verabredet waren. Nichts wäre schlimmer gewesen, als die beiden zu verpassen. So fuhr ich kreuz und quer über die Insel und habe – wie meine beiden Coachees drei Nächte kaum geschlafen.

 

Aufgeben oder weiterlaufen?

Was macht das mit jemandem, der nach 100 km aufhören muss, weil er sich den Fuß so schlimm verletzt hat, dass an Weiterlaufen schlichtweg nicht zu denken ist? Wie geht man mit dem Gefühl um, es nicht geschafft zu haben? Die meisten Menschen sagen „Wow, 100 km und dazu noch einige Höhenmeter, das ist doch ausgesprochen klasse!“ Doch in einem Läufer, der sein Ziel nicht erreicht hat, sieht es anders aus. Die Frustration ist riesig. Jetzt geht es darum, die Dinge in Relation zu setzen, im Kopf und Herzen neu zu ordnen. Was nehme ich daraus mit? Was bedeutet es für mich und was kann ich davon lernen? Wichtig ist doch, wie man solche Erlebnisse und auch die Niederlagen verarbeitet.

Und was passiert, wenn man statt der avisierten 42 Stunden letztlich acht mehr braucht schließlich mit 50 Stunden das Ziel erreicht? So erging es meinem zweiten Kandidaten. Glücklicherweise konnte er sich trotzdem maßlos darüber freuen, war überglücklich und sehr stolz. Und ich? Ebenfalls! Denn mir war in erster Linie wichtig, dass er gesund durchs Ziel läuft. Durchs Ziel läuft? Es kam sogar noch besser: Er schwebte regelrecht über die Ziellinie. Ein wunderbarer Moment für alle Beteiligten!

* Liebe Leserinnen und liebe Leser! In meinen Blogtexten benutze ich abwechselnd die weibliche und männliche Form. Ich habe mich dafür entschieden, um den Lesefluss nicht durch *innen oder ähnliche Variationen des Genderns zu stören.