Aus eigener Kraft

Mit dem Rad von Berlin nach Toulouse – Teil 2: Stärke

Was für ein Glücksrausch war das! Vom 26. Juli bis zum 17. August 2024 war ich auf meinem ganz persönlichen Road-Trip von Berlin nach Toulouse. Ich wollte es wissen: Bewältige ich eine große körperliche Herausforderung? Kann ich noch Abenteuer? Bin ich auch für Unerwartetes flexibel genug? Auf Teilen des Wegs an meiner Seite: meine Mitstreiterinnen Flo und Cat. Mein wichtigstes Bezugsobjekt: Mein Gravelbike – ein wunderbar robustes, dabei relativ leichtes Fahrrad, das mit mir die 2000-Kilometer-Strecke treu bewältigte.

Wer sich ein ambitioniertes Ziel steckt, bekommt für gewöhnlich viele gute, oder zumindest gut gemeinte Ratschläge. So war es auch bei mir. Nachdem die meisten sich mit dem Finger gegen die Stirn getippt hatten, als sie von meinen Reiseplänen erfuhren, gaben sie mir Tipps, viele Tipps. Einige davon waren gut. Aber von gelber Warnweste bis Camping-Kocher war auch einiges dabei, was ich wieder verwarf. Und merkte dabei: Es ist gar nicht so einfach, sich von Ratschlägen auch mal zu distanzieren – wer weiß schließlich vorher, ob es sich nicht bitter rächt, auf Ratschläge nicht gehört zu haben? Ich merkte, dass es im Gegenüber der meinungsstarken Ratschlag-Geber ganz schön viel Mut verlangt, ‚nein‘ zu sagen. Immer wieder gut abzuwägen zwischen Sinn und Unsinn ist eine lebenslange Übung, die auch im Beruf elementar ist. Wer offen für Meinungen Anderer ist und diese klar nach einem eigenen Wertesystem in passend oder unpassend einteilen kann, verfügt hier über eine große persönliche Stärke, die sich Souveränität nennt.

Durchhalten

Apropos Stärke: Eine meiner Stärken ist mein Durchhaltevermögen. Ich war immer sportlich, kann mich auf meinen Körper verlassen. Gleichzeitig bin ich achtsam und gut vorbereitet, dabei immer wieder auslotend, wo meine Grenzen sind. Da kommt mentale Stärke ins Spiel. Es ist wichtig, die eigenen Stärken zu erkennen und ihnen Gewicht beizumessen, denn es lässt sich unglaublich viel auf ihnen aufbauen. Die Erkenntnis „das sind meine Stärken, hier bin ich resilient, hier kann ich mir mehr zumuten“ ist ein Meilenstein in der Stärkung des Selbstwertgefühls.

Dass die Fahrradtour mich nun nicht 2000 Kilometer mit Dauerlächeln und Hans-im-Glück-Modus durch Deutschland und Frankreich getragen hat, ist auch eine Tatsache und wichtige Erfahrung dieser Reise, die ich übrigens auch schon in Wettkämpfen gemacht hatte. Bei einer extremen Herausforderung kommen unweigerlich die Momente, in denen man sich selbst in Frage stellt. Regendurchnässt, erschöpft und vor zig Kilometern vom Weg abgekommen: Ich fragte mich mehr als einmal, ob ich mir nicht doch zu viel zugemutet hatte. Und auch, wenn man es in der Situation vielleicht gerade nicht wahrhaben möchte – das sind die Momente, in denen sich eigene Stärke erkennen und ausbauen lässt. Erfahrung gemacht und mit Schleifchen drum ins Mindset verpflanzt: Wenn der Durchhänger kommt, erst einmal innehalten – verschnaufen, Kopf freimachen, sich öffnen fürs Unbekannte. Situation einschätzen, sich selbst einschätzen, das Ziel neu ins Auge fassen und dann ganz bewusst die Extrameile fahren. So wird aus der Krise manchmal doch noch die pure Lust am Leben. Vielleicht nicht immer, aber auf jeden Fall in Frankreich auf dem Rad.

Oder: Machen ist krasser als Wollen

Was passiert eigentlich mit den Vorhaben, die wir immer schon mal machen wollten? Mit der Geschäftsidee, die uns über Jahre begleitet, aber nie umgesetzt wird? Sie kennen die Antwort: Wahrscheinlich nichts. Und andere verwirklichen sie einfach. Deshalb plädiere ich aus Überzeugung für „Machen ist krasser als Wollen“.

Doch es müssen nicht immer die großen Schritte sein, die das gesamte Leben umkrempeln. Es genügt schon, die eigene Improvisation zu schulen. Denn die hat mit „Einfach machen“ viel gemeinsam. Beides braucht Wissen, Fertigkeiten, Kompetenzen, Zuversicht und Mut. Je größer unser Werkzeugkoffer, desto leichter kommen wir ins Handeln. Was also sollten wir tun, um immer öfter „einfach zu machen“?

Menschen, die Veränderungen aktiv begegnen, sich mit ihnen auseinandersetzen und das Beste daraus machen, sind diejenigen, die Neues entwickeln. Ich muss hier immer an die noch junge deutsche Vergangenheit denken: den Mauerfall. Eine unglaublich besondere Zeit voller Überraschungen. Das Leben wurde auf den Kopf gestellt, es herrschte Aufbruchsstimmung, zumindest in Berlin war sogar eine Art „Anarchie“ zu beobachten. In dieser Zeit wurde enorme Kreativität freigesetzt. Die Menschen hatten eine nahezu ungebremste Lust auf Neues. Frei nach dem Motto „Einfach machen“ entstanden Projekte, Firmen und Ideen.

 

Improvisation ist das halbe Leben

So gut wir uns auch vorbereiten und Innenschau betreiben, das Leben kommt ja immer irgendwie dazwischen. Dennoch ist es eine Entscheidung, wie man die unterschiedlichen Puzzleteile seines Lebens zusammenfügt und welche Handschrift man dabei entwickelt. Und dabei spielt Improvisation eine große Rolle, eine hohe Kunst, die auf solidem Wissen, auf Kompetenz und Erfahrung aufbaut. Den richtigen Moment zu erwischen, gegebenenfalls zu improvisieren und dem Neuen, Unvorhergesehenen Raum zu geben, hat auch mit Weltvertrauen zu tun – ein Begriff, der in der Existenzanalyse und Logotherapie relevant ist (s. Viktor Frankl, Alfried Längle und Christoph Kolbe).

Ich persönlich verbinde mit Weltvertrauen – oder auch bekannt unter Grundvertrauen – die Fähigkeit des Fließen-Lassens und damit, Zeit und Raum zu geben, um Neues entstehen zu lassen. Für neuen Raum muss ich Altes loslassen können, u.a. vorgefertigte Texte, Ideen und Gedanken. Erst wenn man sich verabschiedet, ist Platz für Neues. Ich nenne es „die Festplatte bereinigen“.

Aus meinen unterschiedlichen Ausbildungen und Ansätzen nehme ich mir das, was ich dafür brauche und „garniere“ es mit Neuem. Vergleichen kann man das vielleicht am ehesten damit, beim Kochen aus bestehenden Rezepten eigene Kreationen zu entwickeln, indem man die Zutaten variiert. Die wichtigsten Gewürze sind für mich Wissensdurst und Neugier, zudem die Bereitschaft, weiter zu lernen. Kurz: eine gewisse grundsätzliche Offenheit all dem gegenüber, was das Leben anbietet. Gepaart mit dem Erkennen des richtigen Moments, wann ich welches Gewürz nutze, oder in meinem Fall, welche Methode ich zu welcher Zeit anwende.

Der Ansatz „Einfach machen“ hat mir sowohl bei der Entwicklung meiner Selbstständigkeit als auch als Führungskraft in multinationalen Unternehmen geholfen. Denn letztlich geht es immer „nur“ darum, Ideen einzubringen und auszuprobieren, Menschen zu überzeugen und in ihrer Weiterentwicklung zu unterstützen. Einfach machen eben!

Brauchen Sie Unterstützung bei der Formulierung Ihrer Visionen oder bei der Schärfung einer Idee? Oder geht es darum, eine Sparringpartnerin bei der Umsetzung zu haben? Schreiben Sie mir gern!

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